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Ringvorlesung: Wie viel Wahrheit vertragen wir?

Was ist Wahrheit? Diese Frage ist eine philosophische Grundfrage – eine Frage nach Existenz und Sein. Jede Behauptung, jedes Wort sogar das Bestreiten von Wahrheit, setzen, wenn sie wahr sein soll, die Wahrheit voraus. Konstruktivist:innen behaupten, dass es „die Wahrheit“ nicht gibt, wohl aber Konstruktionen von Realität, die bestimmte Menschen in einem bestimmten sozialen und kulturellen Kontext erzeugen. 

Die klassischen akademischen  Disziplinen - Philosophie, Religions- oder die Rechtswissenschaften - kreisen stetig um den Begriff der Wahrheit und die Regeln sowie die Möglichkeiten der Wahrheitsfindung. Wie schafft Wissenschaft aus Wahrheit Wissen oder aus Wissen Wahrheit? Wie wird Wahrheit durch wissenschaftliches  Wirken generiert und wo stößt diese auf Grenzen? Zwar gibt es nicht unbedingt die eine Wahrheit, aber wir brauchen sie. 

Wir suchen zumindest nach dem Begriff „wahr“ als ein soziales Regulativ. Aber wo kann die Wahrheit gefunden werden? Wer zieht einer komfortablen Lüge einer harten Wahrheit vor? Wie werden Lügen zu alternativen Fakten, Fake News, Halbwahrheiten und bizarren Verschwörungen? Können Kriterien oder Methoden der Wahrheitsfindung helfen, die Realität nicht aus den Augen zu verlieren? 

Wir laden Sie dazu ein, die Wahrheiten in unserer Zeit mit Expert:innen aus Wissenschaft, Gesellschaft und Kultur in interdisziplinären Vorträgen zu betrachten und kritisch zu hinterfragen. Studierende aller Fakultäten sowie interessierte Gäste sind herzlich willkommen!

Wissenschaftliche Leitung der Ringvorlesung: Prof. Dr. Michael Schemmann, wissenschaftliche Leitung des ProfessionalCenters der Universität zu Köln 

Koordination: Eva Osterloff und Maren Mardink, ProfessionalCenter

In Kooperation mit
 

Veranstaltungsübersicht

 

12.04.2022 | 17:45 - 19:15 Uhr
Wahrheit und Wahrhaftigkeit - Die Geschichte des Fakes in der Fotografie

Foto: Michael Ebert © privat

Seit im Journalismus digitale Technik die klassischen fotografischen Verfahren abgelöst hat, sind Bildveränderungen und Fälschungen einfacher denn je. Als Folge der Digitalen Revolution wuchs die Verunsicherung in den Redaktionen und bei den Lesern immer weiter. Ein ambivalenter Umgang mit der Wahrheit, subsumiert unter dem Begriff „Alternative Fakten“, trägt dazu bei das Vertrauen in die Medien weiter zu zersetzen. Dabei ist die Geschichte des gefälschten oder verfälschten Bildes fast so alt wie die Fotografie selbst und beileibe kein Phänomen des Digitalzeitalters. Bereits im Amerikanischen Bürgerkrieg ging man mit der Wahrheit sehr großzügig um und trug, um ein Bild vom Schlachtfeld zu dramatisieren, die Gefallenen für den Fotografen zusammen. In den Zeiten totalitärer Weltmächte erreichte die Fälschung wahrhafte Orwell’sche Dimensionen. In Ungnade gefallene Zeitgenossen wurden umgehend aus den offiziellen Bildern getilgt und manche historischen Retuschen sind in ihrer Qualität modernen, digitalen Manipulationen ebenbürtig. Der Vortrag erzählt mit zahlreichen Bildbeispielen die Geschichte der manipulierten Bilder bis in die hochaktuelle Gegenwart. Heute gehören Fake-Bilder längst zum Instrumentarium moderner Kriege. Im Nahostkonflikt sind sie gar so häufig, dass sie unter der Begrifflichkeit „Pallywood“ in die Mediensprache eingegangen sind.

Michael Ebert, Fotojournalist, Dozent und Autor

19.04.2022 | 17:45 - 19:15 Uhr
Unfehlbar?

Religiöse Wahrheitsansprüche - eine Provokation der Vernunft

Hinter religiösen Sinn- und Lebensentwürfen steht die Suche nach "existenziellen" Wahrheiten. Sie wollen eine Antwort geben auf die Frage: Gibt es etwas, auf dass man sich im Leben und im Sterben unbedingt verlassen kann? Während in philosophischen Erörterungen "Wahrheit" primär als Eigenschaft von Aussagen oder als Eigenschaft eines diskursiv einlösbaren Geltungsanspruchs thematisiert wird, zielt die religiös motivierte Frage in eine andere Richtung. Sie sucht das "Wahre" im Bereich des existenziell Tragfähigen. Aber wie aussichtsreich ist diese Suche? Muss man religiöse Behauptungen "letztgültiger Wahrheiten nicht unter Fundamentalismusverdacht stellen?

Prof. Dr. Hans-Joachim Höhn, Institut für Katholische Theologie , Universität zu Köln

26.04.2022 | 17:45 - 19:15 Uhr
Die Wahrheit über die Lüge

Lügen sind in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Wir begegnen ihnen jeden Tag und nutzen sie auch selbst, um unsere Ziele zu erreichen. Ihr Image ist dabei denkbar schlecht und Kindern wird oft erzählt sie dürften nicht lügen. Dieser Vortrag soll mit einigen weit verbreiteten Vorurteilen aufräumen und klarstellen was Lügen eigentlich sind, wie oft sie geäußert werden und warum sie in unserem Zusammenleben eine wichtige Funktion erfüllen. Zudem soll erläutert werden, wie Lügen aufgedeckt werden können und welche Techniken dafür im Bereich der Strafverfolgung zur Verfügung stehen.

Prof. Dr. Matthias Gamer, Institut für Psychologie, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

03.05.2022 | 17:45 - 19:15 Uhr
Kognitive und situative Einflussfaktoren auf das subjektive Wahrheitsempfinden

Im gegenwärtigen Internet-Zeitalter sind wir tagtäglich einer großen Flut an Informationen ausgesetzt. Hinzu kommt, dass der Wahrheitsgehalt der meisten Informationen nicht direkt ersichtlich ist und viele Angaben aus unbekannten Quellen stammen oder die ursprüngliche Informationsquelle nicht angegeben ist. Entsprechend schwierig ist es für Rezipienten zwischen validen, gut recherchierten Tatsachenberichten und Falschmeldungen oder gar gezielt gestreuten Falschinformationen zu differenzieren. Doch wie beurteilen Menschen den Wahrheitsgehalt von gelesenen bzw. gehörten Informationen? Und inwiefern sind ihre Wahrheitsurteile abhängig von situativen Faktoren wie z.B. von Quelleninformationen, von der Reihenfolge in der die Informationen gelesen bzw. gehört werden oder von den eigenen kognitiven Ressourcen? Der Vortrag thematisiert diese und ähnliche Fragen und gibt Antworten auf Basis psychologischer Theorien und Befunde.

Dr. Lena Nadarevic, Fakultät für Sozialwissenschaften, Universität Mannheim

10.05.2022 | 18:15 - 19:15 Uhr
Was sind Verschwörungstheorien? 

Die Rede von Verschwörungstheorien ist in aller Munde. Dabei gehört es zum guten Ton, Verschwörungstheorien als anrüchig zu betrachten. Im Vortrag werde ich zeigen, dass es bei näherem Hinsehen gar nicht so einfach ist, das Problem dieser Theorien genau zu benennen. Dass überhaupt eine Verschwörung behauptet wird, kann nicht das Problem sein. Schließlich gibt es auch eine ganze Reihe weithin akzeptierter und gut belegter Verschwörungstheorien, etwa Watergate. Ich werde im Vortrag der Frage nachgehen, welche Merkmale die anrüchigen Verschwörungstheorien von den unproblematischen Verschwörungstheorien unterscheidet.

Dr. Romy Jaster, Humboldt-Universität zu Berlin

17.05.2022 | 17:45 - 19:15 Uhr
Wahrheit und Differenz. Zur politischen Epistemologie sozialer Integration.

Die Wahrheit wird in der jüngeren Vergangenheit immer häufiger angerufen. Und es scheint, als ob dies nicht zu einer Einigung über eine geteilte Wirklichkeit führte, sondern, ganz im Gegenteil, Differenz produziert. Mittels des analytischen Instrumentariums der „Praxeologie der Wahrheit“ stellt der Vortrag anhand aktueller Beobachtungen Überlegungen zur sozialen Funktion von Wahrheit an.

Prof. Dr. Bernhard Kleeberg, Philosophische Fakultät, Universität Erfurt

24.05.2022 | 17:45 - 19:15 Uhr
Wem gehört die Wahrheit? Whistleblower und ihre Rolle im investigativen Journalismus

Sie trauen sich zu reden, wo andere schweigen: Whistleblower*innen leaken Informationen, damit Missstände oder illegale Machenschaften ans Licht kommen. Dafür gehen sie häufig ein großes persönliches Risiko ein. Der Wert für die Allgemeinheit ist vor allem dort groß, wo andere Kontrollinstanzen versagen. Der Vortrag zeigt, welche Rolle Hinweisgeber als journalistische Quelle für die Wächterfunktion der Medien spielen, und welche Instrumente Investigativjournalist*innen nutzen, um an für die Öffentlichkeit relevante Informationen zu gelangen.

Verena Nierle, Journalistin, Bayerischer Rundfunk

31.05.2022 | 17:45 - 19:15 Uhr
Ist das zu glauben? Grundlagen der aussagepsychologischen Begutachtung

In einem Gerichtsfall steht Aussage gegen Aussage, weitere Beweismittel fehlen. Wie soll ein*e Richter*in beurteilen, wer die Wahrheit spricht und wer lügt?  

Um in so einem Fall die Glaubhaftigkeit von Zeug*innenaussagen zu beurteilen, wird in Deutschland routinemäßig eine sogenannte aussagepsychologische Begutachtung durchgeführt. Im Rahmen des Vortrages werden die Grundlagen dieser Methode vorgestellt und das Vorgehen anhand von anschaulichen Beispielen illustriert. 

Dr. Verena Oberlader, Institut für Psychologie, Universität Bonn

14.06.2022 | 17:45 - 19:15 Uhr
Wahrheit auf Abwegen?

Der Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten.

Gefälschte Experimente, unterschlagene Ergebnisse, plagiierte Publikationen: Wissenschaftliches Fehlverhalten ist immer wieder in den Schlagzeilen. Jenseits dieser öffentlichen Skandalmeldungen jedoch ist über den Umgang mit Fehlverhalten in der Wissenschaft meist nur wenig bekannt. Was genau gilt eigentlich als Fehlverhalten und wie wird es festgestellt? Was passiert mit inkriminierten Ergebnissen und beschuldigten Personen? Und reichen die Maßnahmen aus, um die wissenschaftliche Wahrheitsproduktion zu schützen? Der Vortrag diskutiert das bestehende innerwissenschaftliche System zum Umgang mit Fehlverhalten. Besonderes Augenmerk liegt auf den jeweiligen Verständnissen von Wahrheit, die den Untersuchungen und Verhandlungen zugrunde liegen. Dabei wird gezeigt, wie die Orientierung an unterschiedlichen, oftmals konfligierenden Wahrheitskonzepten einen zentralen Punkt darstellen, der sowohl im System selbst häufig zu Konflikten führt, als auch regelmäßig Anlass für Kritik von außen, d.h. durch Medien, Politik und Gesellschaft, ist. Vor dem Hintergrund dieser konfligierenden Vorstellungen von Wahrheit bleibt es schließlich fraglich, inwieweit der Umgang mit Fehlverhalten dazu beitragen kann, verlorenes Vertrauen in die Wissenschaft zurückzugewinnen.

Dr. Felicitas Heßelmann, DZHW

21.06.2022 | 17:45 - 19:15 Uhr
Wahrheit und Wissen. Freiheit und Wissenschaft

Wer die Freiheit der Wissenschaft beschneidet, der behindert das Bemühen um Wahrheit, das die wissenschaftliche Tätigkeit charakterisiert. Es gibt offenbar  einen Zusammenhang zwischen epistemischer Offenheit (also der wissenschaftlichen Freiheit von Fremdbestimmung) und wissenschaftlichem Ethos (also den Normen, Werten, Zielen der Wissenschaft). Dabei ist das Konzept der freien Wissenschaft eng mit der Geschichte des modernen Wissens- und Wissenschaftsverständnisses verknüpft, aber auch mit den aufklärerischen Erwartungen, die mit dem allgemeineren Recht auf Meinungsfreiheit verbunden werden. In dem Vortrag wird es sowohl um diese historischen und normativen Grundlagen der Wissenschaftsfreiheit gehen, wie auch um die aktuelle Debatte der (mutmaßlichen) Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit durch „wissenschaftsfremde“ Politisierung und Moralisierung.

Prof. Dr. phil. Elif Özmen, Institut für Philosophie, Justus-Liebig-Universität Gießen

28.06.2022 | 17:45 - 19:15 Uhr
Deepfakes: Über die Folgen von perfekten Täuschungen und die Herausforderungen für eine multidimensionale Regulierung

Deepfakes sind realistisch wirkende Fotos, Audios oder Videos die authentisch wirken, aber mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz verändert oder synthetisiert wurden. Damit haben wir es mit einer neuen Generation digital manipulierter Medieninhalte zu tun, die das Erkennen einer Täuschung zunehmend erschwert und die bestehende Rechtssetzung herausfordert.

Zwar kann diese Technologie durchaus legal genutzt werden, beispielsweise in der Filmbranche oder auch in der Medizinforschung. Demgegenüber besteht jedoch ein erhebliches Missbrauchspotential mit unterschiedlichen Risikodimensionen für Personen, Unternehmen und für die demokratischen Werte einer Gesellschaft. Doch wie sollen wir den negativen Folgen durch Deepfakes wirkungsvoll begegnen? In dem Beitrag werden die erarbeiteten Empfehlungen für das Europäische Parlament zum aktuellen Entwurf einer Verordnung für Künstliche Intelligenz vorgestellt. Neben der Anwendung der Technologie trägt aber auch die Verbreitung von Deepfakes in den sozialen Medien wesentlich zur Gefährdung bei, so dass auch die Rolle von Plattformen und deren Nutzer selbst in den Blick genommen werden muss.

Dr. Jutta Jahnel, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
 

Organisation & Kontakt


Frau Eva Osterloff